Siegfried Stiller: volle Gläser, tolle Bilder. Zwischen Sex, Wahnsinn und Kinderschmiererei
Siegfried Stiller in seinem Atelier zwischen seinen Bildern. |
"Kunst entzieht sich kultureller politischer und religiöser Bevormundung - Kunst ist frei", sagte Siegfried "Sigi" Stiller als er noch am Leben war. Zum Schluss seines Lebens, er verstarb vor einigen Tagen, wurde sein Atelier immer mehr auch Wohn- und Schlafzimmer, Kneipe und Konferenzraum. Hier wurde getratscht, gelacht, getrunken und natürlich gemalt, viel gemalt. Bekannt wurde er in Augsburg erst als nackter Mann, der auf dem Rathausplatz nur mit der Schrift "Ich bin wütend" auf seinem Körper, gegen die Verlegung des Kulturparks, in dem sein Atelier war, in den Gaskessel medienwirksam protestierte.
Stiller darf man ruhig zu den bedeutendsten Malern Augsburgs nach dem Zweiten Weltkrieg zählen. Durchaus zu sehen in der Tradition der alten Holbeins. Wer kam und kommt nach 1945 aus Augsburg, der oder die als malender Künstler national oder gar international bekannt wurde? Karl Kunz, Jörg Scherkamp, Otto Geiß, Juliane Stiegele, Georg Bernhard, Johannis Hartung, Jonas Hafner, Peter Lochmüller und Martin Eder.
Siegfried Stiller, dem es geht wie seinem ebenfalls grandiosen Malerkollegen Peter Schlichtherle, zählte nicht zu diesen Augsburger Helden der Malkunst. Nomen est omen. Hätte Augsburg ihn nicht hängen lassen, dann wäre er mindestens so bekannt geworden. Aber sein Werk wird ihn überleben. Irgendwann wird Augsburg vielleicht erkennen, dass er einer der ganz Großen war.
Sie kamen gern zu ihm, die Grafikerinnen, die Fotografen, die Musiker, die Trommlerinnen, die Maler, die Modesignerinnen,die Journalisten und die Models, die sich von ihm nackt malen ließen. Er war offen, er war für kreative Gespräch genauso zu haben wie für ausufernde Blödelei.
Kaum ein Augsburger Künstler konnte so riesige Gemälde schaffen, wie Stiller, die bis in die letzten Ecken vor Farbe strahlen und voll von fantastischen Formen leben, sprudeln, revoltierten. Seine Malwesen sind liebestrunkene Punks, gefährliche Monsterfrauen oder irgendwelche surreale Tiere von anderen Planeten. Brutal schöne Gemälde hingeschmiert wie von Kinderhand im Übermut, aber doch von einem Künstler, der Kind geblieben war, tief im Herz.
Seine tabulosen Erotik-Illustrationen sind Bücher voll lustvollem Fleisch, voll sexgierigen Bestien, voll Nacktheit, bis unter die Haut, bis auf die Knochen. Bei ihm wurde jede Pore zur obszönen Öffnung. Schamhaare zum Dschungel der Lust, gerade gut genug für den Totentanz. Da wurde sein Atelier zum schwül-dampfigen Treibhaus der liebeshungrigen Menschen. Die Vagina zeichnete er als fleischfressende Pflanze. Den Phallus bildete er als Szepter von König Orgie ab.
Stillers Künstler-Philosophie: "Menschen und Menschliches, Gefühltes und Erlebtes bilden die inhaltliche Grundlage meines künstlerischen Schaffens. Expressiv, dynamisch und wuchtig in Duktus und Farbgebung sind meine gestalterischen Ausdrucksweisen vielschichtig und inhaltlich gefühlsorientiert, den individuellen Lebenserfahrungen gewidmet. Lebenswahrnehmungen im inneren und äußeren Umfeld, Lust und Liebe finden Eingang in meine großformatigen Bilder.
Zu seinen Materialien zählte er: "Kaffee, Rotwein und Blut verbindet Leinwand und Künstler körperlich – Körper, Geist und Tafelbild vereinen sich. Blut, die Farbe des Lebens, des Ursprungs, vereinigt das Modell mit Hingabe im Abbild Künstler und Wahrnehmenden, verbindet sich archaisch. spirituell und real."
Siegfried Stiller:Eine Retrospektive
13.4. - 27.04.2017
Kulturhaus Abraxas
Große Halle
BBK-Galerie
Öffnungszeiten:
Di 14.00 bis 21.00 Uhr
Do, Fr, Sa 14.00 bis 18.00 Uhr
Eintritt: frei
Die Ausstellung zeigt Arbeiten aus dem Nachlass von Siegfried Stiller.
Präsentiert von Mothership Connection (Kulturpark West und Kulturhaus abraxas) in Zusammenarbeit mit KUKI Musikkultur für Augsburg e.V.
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